METAMORPHOSE DES AISON

Rasch, wie das sie gewahrt, stößt zu mit dem Schwerte,
Öffnet die Kehle dem Greis, und entlassend das alte Geblüte
Aufnahm teils mit dem Mund, teils auch mit der Wunde, verlieren
Bart und Haare das Grau und gewinnen die vorige Schwärze;
Hagere Dürre vergeht; es entweicht das Gelb und die Welkheit;
Frisch ansetzendes Fleisch füllt aus hohlgehende Runzeln;
Stark ist in Fülle der Leib. Mit Bewunderung fühlet sich Aison
Ganz so wieder wie einst vor vierzig entwichenen Jahren.

Ovid´s Metamorphosen, Aison und Medea

Photography . Jens S. Achtert KREATV
Project . OVID´S METAMORPHOSEN
Model . Christoph G.

Make-up Artist . Marlene PrasseEs ist der erste Moment der Verwandlung, der mich bei diesem Thema besonders fasziniert. Dabei geht es mir nicht um die körperliche Veränderung des Menschen, die sich durch die Kunst der Maskenbildern und der digitale Bildbearbeitung perfekt darstellen ließe, sondern den Moment des absoluten Begreifens seines Schicksals, also die psychische Veränderung. Dem Protagonist wird in einem bestimmten Moment bewußt, dass der Konflikt zu gross ist und er in seiner bisherigen Form nicht mehr weiter existieren kann.
Ein Verbrechen, dessen Opfer er wurde oder das er selbst begangen hat, die körperliche Verjüngung, ein Fluch oder die Folgen von Verrat, Hochmut und Neid sind so schwerwiegend, dass die Gesetze des rationalen Verstandes und der Natur überwunden werden. Der Geist muss „aus seiner Haut fahren“ um den Frevel verkraften zu können.
Die Dichtung Ovids liefert für mein freies Projekt die besten Vorlagen. Gewollt ist die statuenhafte Anmutung bei der die Beine der Modelle nebulös in einer Art Marmorsockel versinken und die Farbigkeit möglichst auf ein Steingrau reduziert wird – umso leutender wirken dadurch blutrot und blattgrün.
So wenig wie möglich Requisite soll Freiraum für die eigene Deutung der Szene lassen, auch der Hintergrund ist bewußt einfarbig geblieben, er erinnert mich an alte, archetypische Aufnahmen von Statuen aus Museen oder Kunstgalerien.
Diese Aufnahmen stellen eine sehr hohe Anforderung an die Fähigkeit der Modelle dar: Für die statuenhafte Darstellung ist ein nahezu perfekter Körper zwingend notwendig, weitaus wichtiger ist es den richtigen Ausdruck von Verzweiflung, Leid, Verwunderung oder Hass zu treffen. Einige Modelle schrecken deshalb vor der Intensität im Vorfeld zurück, obwohl sie die körperlichen Anforderungen durchaus erfüllen. Der Fotograf muss in der Lage sein das Modell in die Situation zu führen, ihm den richtigen Ausdruck abzugewinnen und gleichzeitig noch den perfekten Moment für Pose und Licht zu finden.
Ich muss gestehen, dass ich bei diesen Shootings sehr oft plötzlich geschriehen habe, um die Modelle zu verblüffen und mich selbst abzureagieren; genau in diesen Momenten der eigenen Anspannung und Verzweiflung entsteht das perfekte Bild, auf das wir Stunden hingearbeitet haben. Den Modellen bin ich für die Geduld und das geduldige Ertragen meiner Schocktherapie sehr dankbar – werden wir doch alle durch wunderbare Bilder belohnt.
Autor Jens S. Achtert